das war ja Zufall, dass ich da bei Ihnen an der TU auftauchte. Damals konnte man sich dort ohne Abitur einschreiben, was später naturgemäß bald einer Ihrer Kollegen abgeschafft hat, unbedingt hat abschaffen müssen, und ich meins, also die, ja: Nichtschülerreifeprüfung erst drei Monate später machen sollte.
Bei Ihnen lernten wir Textinterpretation und bekamen dazu ein Blöckchen von fünfzehn kurzen Texten und sonst nix. Meiner war, das suchten wir uns aus, das "Es war einmal ein klei Kind" aus dem Woyzeck, dazu gabs Günter Eich (Noch läuft er) und Heißenbüttel (Er war gewesen ihr).
Das sollten wir also lesen. Die meisten im Raum waren deutsche Lehramtsanwärterinnen oder sogenannte Medienwissenschaftler/innen, die schon aus Prinzip nichts gelesen haben und wenn sie es getan hätten, hätten sie es nicht bemerkt. Wir andern drei oder vier versuchten es ein wenig, dann sprachen Sie. Sätze wie: "Der Helmut hat zu viel Theorie im Kopf und zu wenig Talent", was mich erschreckte. Uns forderten sie zum Reden auf: "Seien sie nicht schüchtern und, was vielleicht dasselbe ist, seien Sie nicht arrogant!" Ich höre diese Sätze noch. Ihren Ton.
Was wir lernten, war, in Learning Outcomes: Es gibt also diese Dichter. Man kann lesen, was sie geschrieben haben, und man kann darüber sprechen. Sonst nichts. Doch: Man kann sie auch kennenlernen, lernten wir. Sie kannten sie ja alle. Sie luden Dichter wie Luigi Malerba und Edoardo Sanguineti zu uns ein, holten sie ins Haus, sagten: "Guckt! Hört!"
Sie hielten auch eine Vorlesung "Vom Kahlschlag zum Movens". Zu so etwas ging ich nicht. Eine Kollegin erzählte, Sie hätten da in drei Wochen hintereinander dreimal dasselbe vorgetragen. Darauf angesprochen, hätten Sie geantwortet: "Hier versteht sowieso keiner was!" Grimmig konnten Sie auch sein. Das half vermutlich, wenn Ihr Kollege, der Großprofessor auf Ihren Assistenten niedergrollen wollte.
Der Assistent hieß Wolfgang Max Faust und warf, wenn er durchs Institut tänzelte, was er tatsächlich tat, ganze Familien von Ideen rechts und links hinaus. Auch bei dem wollte ich Textinterpretation lernen. Der legte uns ein weißes Blatt vor, auf dessen Mitte das Gedicht "Schläft ein Lied in allen Dingen" stand. "Nun sagt mal!" Ich brummelte etwas von Utopie, wie ich das damals so tat, und wurde gleich zurechtgewiesen: "Davon steht aber nichts da!" Das saß.
Wolfgang Max wars, der mich zu meinem Woyzeck-Märchen Jean Pauls "Rede des toten Christus" lesen ließ. Die Note für meine Hausarbeit war deshalb, lieber Herr Professor, etwas unverdient.